Wir treffen unsere Entscheidungen rational. Alle Fakten werden auf den Tisch gelegt und die Argumente sorgfältig gegeneinander abgewogen. Nichts wird dem Zufall überlassen. So laufen Entscheidungsprozesse in unserer Vorstellung ab. In der Praxis sieht die Sache anders aus. Eine vielbeachtete Studie zeigt, dass scheinbar irrelevante Faktoren großen Einfluss auf unsere Entscheidungen haben. Und zwar nicht nur, wenn es sich um Nebensächlichkeiten handelt – wie der Farbe unserer Socken – sondern auch bei lebenswichtigen Entscheidungen. So konnte gezeigt werden, dass Richter nach dem Mittagessen mildere Urteile fällen als davor. Direkt nach der Mittagspause wurden gut 65 Prozent der Anträge auf eine vorzeitige Entlassung genehmigt. Im Tagesverlauf reduzierte sich die Quote drastisch, bis sie nach wenigen Stunden bei null Prozent (!) aufschlug. Die Ergebnisse lassen sich in einer einfachen Formel zusammenfassen: Je länger die letzte Mahlzeit zurückliegt, desto härter das Urteil. Die Studie hat für großes Aufsehen gesorgt. Das liegt nicht zuletzt daran, dass Richter*innen anspruchsvolle Auswahlverfahren durchlaufen, um anschließend jahrelang darin geschult zu werden, objektive Entscheidungen zu treffen. Es lässt sich nur spekulieren, was es für das Entscheidungsverhalten von Normalsterbleiche bedeutet, wenn selbst echte Profis ihre Entscheidungen im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Bauch heraus treffen. Die Forscher erklären sich die Ergebnisse damit, dass es anstrengend ist Entscheidungen zu treffen. Gehen die Energiereserven zur Neige, wechselt unser Gehirn in eine Art Energiesparmodus. Die Bereitschaft alle Optionen durchzudenken sinkt und wir tendieren dazu, uns für die „sichere“ Option zu entscheiden. D.h. wenn Sie das nächste Mal jemanden um einen Gefallen bitten wollen – sei es Hilfe beim Umzug oder eine kräftige Gehaltserhöhung – warten Sie sicherheitshalber bis nach dem Mittagessen. Sollte sich der Vormittagstermin nicht vermeiden lassen – je länger das Frühstück zurückliegt, desto kritischer wird es – scheint es lohnend der Chefin zumindest ein Stück Sachertorte mitzubringen.

Quelle: https://www.pnas.org/content/108/17/6889

Harald Autischer