Der 1. Mai im Wandel der Zeit

An einem Donnerstag im Jahr 1890 brach für die steirische ArbeiterInnenbewegung eine neue Zeit an. Früh morgens versammelten sich in zahlreichen Orten Tausende, um ein kraftvolles Zeichen zu setzen. Knapp eineinhalb Jahre zuvor hatte der Einigungsparteitag der österreichischen Sozialdemokratie stattgefunden. Nun wollte die Bewegung erstmals ihre ganze Stärke zeigen. Die Tatsache, dass dafür der 1. Mai ausgewählt wurde, war kein Zufall. Viel mehr handelte es sich um eine Bekundung internationaler Solidarität. 1886 hatte an diesem Datum in Chicago ein großer Streik begonnen. Die Polizei ging in den darauffolgenden Tagen hart gegen die Beteiligten vor und erschoss insgesamt sechs Personen. Diese führte zu den als Haymarket Riots in die Geschichte eingegangen Unruhen, in deren Verlauf nochmals mehrere Dutzend Menschen ihr Leben verloren. Etwas mehr als ein Jahr später beschloss der Gründungskongress der Zweiten Sozialistischen Internationale in Paris, den 1. Mai zum Kampftag der Arbeiterschaft zu erklären. Zentrale Forderung sollte dabei, wie in Chicago die Einführung des 8-Stunden-Tages sein.

In den folgenden Monaten bereitete sich auch die österreichische Arbeiterbewegung, die in der Steiermark besonders stark war, auf den 1. Mai vor. Obwohl davon im Beschluss der Sozialistischen Internationale keine Rede war, beschloss man, an diesem Tag die Arbeit ruhen zu lassen. Trotz massiver Einschüchterungen vonseiten der Regierung und der meisten Fabrikbesitzer gelang dieses Vorhaben. Die gewaltige Solidarität der Arbeiterschaft war stärker als die Furcht vor den Konsequenzen der Arbeitsniederlegung. Alleine in Graz beteiligten sich mehr als 10.000 Menschen an den Feierlichkeiten. Hans Resel, der 1897 als erster Sozialdemokrat aus dem Gebiet des heutigen Österreichs in den Reichsrat, dem Vorläufer des heutigen Nationalrats, gewählt wurde, beschrieb die Gründe für den durchschlagenden Erfolg so: „Man war nicht der Arbeit entflohen, aus Lust, die Natur zu genießen, nicht um der Lustbarkeit zu frönen, ruhte die Arbeit. Nein, sie ruhte, um kundzugeben, dass die Lohnsklaven aller Länder und Zungen des gleichen Sinnes sind, die Sklaverei zu brechen, die Freiheit des Wortes zu erringen, als Lohn für die Arbeit ihre Produkte zu genießen, den herrlichen Grundsatz Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit zur Wahrheit zu machen“. Wie aus Resels Ausführungen hervorgeht, waren neben der Einführung des 8-Stunden-Tages in Österreich vor allem Pressefreiheit und das allgemeine Wahlrecht zentrale Forderungen der Sozialdemokratie. Es sollte noch viele Jahre dauern, bis diese errungen werden konnten. Beginnend mit dem 1. Mai 1890 wurde die Bewegung jedoch immer stärker. Trotz eines unfairen Wahlrechts, dass den Wert einer Stimme anhand der Steuerleistung bemaß, gelang es der Sozialdemokratie bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, in die Gemeindevertretungen der größten steirischen Städte einzuziehen.

Nach Ende des Ersten Weltkrieges gewann die Sozialdemokratische Partei im Jahr 1919 die ersten freien Wahlen in der Geschichte Österreichs. In der Folge wurde der 1. Mai zu einem arbeitsfreien Tag erklärt. Neben dem Tag der Republik war er außerdem der zweite Staatsfeiertag. Nach der Ausschaltung des Parlaments durch den christlich-sozialen Bundeskanzler Engelbert Dollfuß im März 1933 durfte am folgenden 1. Mai nicht mehr marschiert werden. Versammlungen wurden jedoch trotzdem durchgeführt. Alleine in Graz nahmen 20.000 Menschen an einer Kundgebung in der Industriehalle teil. Nach der Etablierung des austrofaschistischen Ständestaates und dem Verbot der Sozialdemokratie wurde von den neuen Machthabern versucht dem 1. Mai eine neue Bedeutung zu geben. Sie erließen ausgerechnet an diesem Tag im Jahr 1934 ihre diktatorische Verfassung. Daraufhin wurde der 1. Mai zum alleinigen Staatsfeiertag erklärt. Dieser Schritt war natürlich eine Demütigung für die Sozialdemokratie. Außerdem strichen die arbeitnehmerfeindlichen Austrofaschisten infolge der Abschaffung des Tages der Republik damit einen arbeitsfreien Tag. Bis der 1.Mai wieder ein wahrer Tag der Arbeit für die Menschen wurde, mussten lange Jahre austrofaschistischer und nationalsozialistischer Tyrannei überstanden werden. In der Zweiten Republik kam es schließlich schrittweise zur endgültigen Umsetzung der von den Sozialdemokraten jedes Jahr am 1. Mai gestellten Forderungen nach verbesserten Arbeitsbedingungen. Vor allem die Regierung Kreisky brachte den einfachen Menschen ein bis dahin ungekanntes Maß an Wohlstand.

Wie sich zeigte, ist die Geschichte jedoch keine Einbahnstraße. In den letzten Jahrzehnten kam es im Geiste des Neoliberalismus zu einer stufenweisen Zurückdrängung sozialer Errungenschaften. Die Einführung des 12-Stunden-Tages durch die schwarz-blaue Regierung im Jahr 2018 war dabei nur die Spitze des Eisbergs. Sozialdemokratie und Gewerkschaft müssen nun wieder mehr Kampfgeist zeigen, um die Interessen der breiten Bevölkerungsmehrheit zu wahren. Stärker als in den letzten Jahrzehnten wird der 1. Mai dadurch erneut zum Kampftag für die Vielen. Dies gilt auch für das heurige Jahr an dem die Feierlichkeiten aufgrund der Corona-Krise erstmals nicht auf der Straße stattfinden können. Gerade die erzwungene Stilllegung des öffentlichen Lebens schafft Zeit Visionen für eine bessere, gerechtere, solidarischere und auch gesundere Gesellschaft auszuarbeiten. Wie schon vor 130 Jahren haben wir Sozialdemokraten nichts zu verlieren, aber alles zu gewinnen. In der Steiermark, in Österreich und auf der ganzen Welt. Ein Hoch dem 1. Mai!

Ein Kommentar von Martin Amschl